„Bilder finden“ – zum 75. Todestag von Bruno Schulz
Als die Deutschen alle Jüdinnen und Juden Europas ermorden und die Erinnerung an sie für immer aus unserer Welt tilgen wollten, endeten Millionen menschlicher Schicksale binnen kürzester Zeit in den Massengräbern Mittel- und Osteuropas. Mit ihnen starb auch die Hoffnung, welche die Antisemiten zuerst sich und dann auch den mit einem irdischen messianischen Erlösungsgedanken identifizierten Juden stellvertretend für alle Menschen mit Gewalt austrieben. Die einzelnen Schicksale dem Vergessen zu entreißen, wird mit der zeitlichen Entfernung immer schwieriger. Und der Schnitt in der Geschichte, so man mit dieser einen Hoffnungsgedanken verbindet oder verband, ist unheilbar. Die nie mehr aufzuholende Suche nach dem Entrissenen und verloren Gegangenen, auch wenn ihr oft der Missbrauch des Trostes oder gar der erlösenden Überwindung anhaftet, verhindert das Abdecken einer Wunde, deren Ursachen fortbestehen.
Zwei dieser Suchenden waren Benjamin und Christian Geissler; der, den sie (wieder) fanden, Bruno Schulz. Dieser im deutschsprachigen Raum immer noch kaum bekannte polnischsprachige jüdische Schriftsteller und Maler hatte trotz der kurzen Aufmerksamkeitsspanne, die ihm zuteil wurde, einen großen Einfluss auf die polnische Literatur des 20. Jahrhunderts. Mit „Sklepy Cynamonowe“ („Die Zimtläden“) und „Sanatorium pod Klepsydrą“ („Das Sanatorium zur Sanduhr“) gelang dem poetischen Erzähler, der die Alltäglichkeit der Kleinstadt in magischen Bildern auflöste und den um Sinn und Bedeutung ringenden einzelnen Menschen in einer mythischen Ausweglosigkeit beschrieb, der Durchbruch. Schnell begann man, ihn mit Franz Kafka zu vergleichen. Im deutschsprachigen Raum wird er heute nicht selten als „polnischer Kafka“ bezeichnet, wohl auch, weil die autobiographisch geprägten Erzählungen des introvertierten Außenseiters oft hermetisch geschlossen wirken.
Während Schulz zumindest in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wiederentdeckt wurde, gab in Deutschland 2002 der Dokumentarfilm „Bilder finden“ von Benjamin Geissler einen kleinen Anstoß, den Schriftsteller in Deutschland bekannter zu machen. Nachdem die Deutschen die Heimatstadt Schulz‘, Drohobycz, einnahmen und vor allem den großen jüdischen Bevölkerungsanteil der Stadt terrorisierten und nach kurzer Zeit systematisch zu ermorden begannen, stellte der SS-Hauptscharführer Felix Landau Schulz unter seinen persönlichen Schutz, damit dieser für ihn als Auftragskünstler arbeite. Die Wandgemälde, die Schulz für Landau in der von diesem bezogenen Villa anfertigen musste, waren, trotz der intensiven Suche vor allem durch polnische Forscher, lange Zeit nicht auffindbar. Benjamin Geissler und dessen Vater Christian gelingt es schließlich mit Hilfe aus der örtlichen Bevölkerung, die Fresken 2001 aufzuspüren – in einer Abstellkammer. Die Folge sind Freudentränen, eine polnische Expertenkommission, das behutsame Abtragen der darüber liegenden Wandfarbe und schließlich eine fast als Kunstraub zu bezeichnende Geheimaktion Yad Vashems, deren Mitarbeiter nach finanzieller Überzeugung der Gebäudeeigentümer einen Teil der Fresken aus der Wand schneiden und nach Israel bringen.
Auch wenn der Film mit zahlreichen Zitaten Schulz‘ und Überblenden seiner Bilder und Zeichnungen geschmückt ist, erweckt er eher den Eindruck einer Metadokumentation – vielleicht auch angesichts der Unmöglichkeit, ihm und der untergegangenen Welt, die ihn hervorbrachte, habhaft zu werden. Die Suche wird zum Ziel und erinnert immer auch an die ihr innewohnende Vergeblichkeit. Die wenigen Alten, die noch zur Drohobyczer jüdischen Gemeinde heute gehören und neben Polnisch, Jiddisch und Ukrainisch häufig auch Deutsch sprechen, können als Überlebende der Shoah bei der Suche helfen, aber kaum noch Hoffnung machen auf einen Erhalt geschweige denn auf ein Wiederaufleben der jüdischen Kultur wie auch der mit dieser so verbundenen Multikulturalität Ostmitteleuropas. Was soll man auch erwarten, wenn der Funke dieser Hoffnung in Gestalt unter ständiger Todesbedrohung auf Befehl der Nazis angefertigter Auftragskunstwerke besteht? Dass die kleinen jüdischen Gemeinden in Drohobycz und Lemberg (Lviv, früher Lwów) mit ihrer Hoffnung nach internationaler Unterstützung ziemlich schnell vor einem fast wörtlichen Scherbenhaufen standen, führt schließlich auch den Zuschauer wieder auf den Boden der europäischen Realität des 21. Jahrhunderts zurück. Trotzdem trägt der Film dazu bei, Spuren zu bewahren, Erinnerungen ins kulturelle Gedächtnis einfließen zu lassen und letztlich vor allem, Bruno Schulz ein bisschen bekannter zu machen. In den letzten Jahren entstanden neue Übersetzungen seiner Werke und auf der Documenta 2017 in Kassel waren jene Fresken, die nicht nach Yad Vashem gebracht wurden, zu sehen. Ungleich interessantere Zeichnungen Schulz‘ aus den 30er Jahren und der Zeit der deutschen Besatzung findet man heute dagegen eng beieinander in den kleinen Räumen des „Bruno-Schulz-Museums“ im ehemaligen Drohobyczer Gymnasium ausgestellt.
Am 19. November 2017 jährt sich der Todestag von Bruno Schulz zum 75. Mal. Am „wilden Donnerstag“, an dem SS-Männer 1942 wahllos hunderte Jüdinnen und Juden in ganz Drohobycz auf offener Straße ermordeten, wurde Schulz von dem mit Landau verfeindeten SS-Mann Karl Günther erschossen. Landau habe zuvor dessen jüdischen Leibzahnarzt erschossen und so kommentierte Günther die Ermordung Schulz‘: „Du tötetest meinen Juden – ich tötete deinen.“
75 Jahre später werden in ganz Deutschland 100 Kinos die Dokumentation Geisslers zeigen. Eines von ihnen ist das Kino in der Fabrik in Dresden. Am Sonntag, dem 19.11., ist „Bilder suchen“ dort um 12.00 zu sehen. Nicht nur wegen der schweren Verfügbarkeit und geringen Bekanntheit des Films lohnt sich der Besuch.